Erste Landnahme: malerische Häutung des Holzschnittes
Als eine der klassischen Vervielfältigungstechniken ermöglicht der Holzschnitt die reproduzierbarkeit eines Bildmotivs, weshalber auch stets als äusserst wirksames Medium zur Verbreitung und Vermittlung von politischen und religiösen Ideologien eingesetzt wurde. Der Widerstand des Holzes verleiht den geschnittenen Linien ein hohes Mass an Expressivität, drängt die Künstlerin oder den Künstler aber auch zur Reduktion und Komprimierung auf das Wesentliche, ansonsten das Schneiden oder Sticheln des Druckstockes zum kontemplativen, zeitimmunen Akt wird. Der einmal geführte Schnitt ist unwiederbringlich gesetzt, Korrekturen sind nicht mehr möglich.Damit treten im Holzschnitt einerseits formale Kriterien in den Vordergrund, anderseit schaffen starke Kontraste malerisch die effektivste Wirkung.
Künstlerische Spontaneität erhält im langwierigen, komplexen Prozess vom Übertragen der Zeichnung über das Schneiden, Färben und Drucken einen völlig anderen Stellenwert als beim Malen oder Skizzieren, zumal einzelne dieser Arbeitsschritte meistens an Fachleute aus dem Druckereigewerbe delegiert werden. Zeitgenössische Künstler haben sich jedoch von inhaltlichen und technischen Beschränkungen durch individuelle Konzepte weitgehend befreit. So auch Christa Mayrhofer, indem sie traditionelle Werte wie etwa die Nähe zum Naturmaterial Holz oder die enge Beziehung des Holzschnittes zur Schrift in eine sinnliche, geheimnisvoll naturhafte Mythologie einbindet und der Technik malerische Qualitäten zumutet, Sie delegiert keinen der Arbeitsschritte, sondern setzt die langwierige Prozessualität als zeitlichen Aspekt bedacht in ihren Werken ein, die sie von Beginn bis zum Ende ohne Hilfe herstellt. Mit der Ölmalerei auf Holztafeln geht sie auf dem Weg der Aufwertung des Druckstockes zum eigenständigen Bedeutungsträger noch einen Schritt weiter und schliesst den Kreislauf wieder.
Christa Mayrhofers Holzschnitte sind selbst da Unikate, wo einzelne Motive wieder zu erkennen sind, denn sie verwendet Druckstöcke, die sie stellenweise abdeckt, über längere Zeiträume. Jedes Werk ist das einmalige, selbst für die Künstlerin teilweise unvorhersehbare Resultat eines individuellen, mehrschichtigen Prozesses für den sie ausnahmslos natürliche Materialien verwendet. Das Nepalbüttenpapier, das für die meist sehr grossformatigen Holzschnitte als Bildträger dient, wird nach uralten Rezepten, ohne chemische Konservierungsstoffe hergestellt. Jeder Bogen hat seine individuelle Struktur, ja einen persönlichen Charakter, der in seiner geschmeidigen, dichten Weichheit an Wildleder erinnert. Beim Überdrucken der einzelnen Abzüge spielt der Zufall eine bedeutende Eigenrolle, denn die Vermischung der pastosen Ölfarben bleibt je nach Trocknungsgrad Gefühlssache. Durch Auskratzen und Ausschaben werden Teile der eingewalzten Farbschicht wie Spuren der Zeit oder Verletzungen, die das Leben mit sich bringt, wieder entfernt. Christa Mayrhofer amalgamiert in einem langwierigen, mehrschichtigen Prozess graphische, bildhauerische und malerische Verfahren, wodurch intuitive Naturgebilde entstehen.
Brigitta Vogler-Zimmerli, Bern
Zweite Landnahme: Sommernachtstraum
Werke von Christa Mayrhofer um sich zu haben, heisst, mit ihnen zusammen zu sein – sie fügen sich in unser Umfeld ein, besetzen Lebensraum. Denn diese Bilder hängen nicht einfach an der Wand und lösen optische Reize aus. Sie führen ein heimliches Eigenleben, das man sich sukzessive erschliessen kann, sofern man alle Sinne öffnet und bereit ist, sich auf eine verführerische Sinnes- und Gedankenreise zu begeben.- Dann vollzieht sich jedes mal von Neuem eine wunderbare Wandlung: Man beginnt, die Werke von Christa Mayrhofer mit allen Sinnen aufzunehmen, sie nicht einfach zu sehen, sondern auch zu schmecken, zu riechen, zu fühlen und zu hören. Man möchte sich in sie hinein fallen oder sich von ihnen symbiotisch ummanteln lassen. Dann- irgendwann- glaubt man, dies Bilder über den ganzen Körper wahrzunehmen,wie wunderbare Naturwesen, in deren Welt man tatsächlich und unmerklich hinüber gleitet wie in ein Bad körperwarmen Plasmas.
Der Sommernachtstraum beginnt: Wie verborgen hinter einem aufregend vibrierenden Schleier tropischen Regens wuchert ein Farbendickicht in einen unermesslichen Phantasieraum hinein, der sich mit nie gehörten Klängen und betörenden Düften füllt. Unbekannte Wesen taumeln, tanzen, schleichen durch Licht durchflutete Goldluft. Chiffrierte Botschaften wollen sich in die Gedanken einbrennen und verwehen doch, ein Gefühl der Wehmut hinterlassend. Nächtliche Welten umfangen einem mit wispernden Geräuschen, machen trunken von Glück oder sehnender Trauer. Immer tiefer gleitet man in diese lebensvoll pulsierenden Traumräume hinein und wähnt sich gleichzeitig auf verschiedenen Bewusstseinsebenen. Ist dies durchschrittene Musik, gehörte Malerei, geschaute Zeit oder verstreichender Raum? Ist dies denn wirklich nur eine Gedankenreise, ein Reich der Imagination? Dann, zurückgerissen durch ein Signal der Wirklichkeit- aber wo ist denn nun eigentlich die Wirklichkeit?- erwacht man wie aus einem langen Schlaf, etwas wehmütig, doch vor allem bereichert, mit belebten Sinnen. Die Landnahme geht immer weiter.
Brigitta Vogler-Zimmerli, Bern